Sonntag, 20. Oktober 2013

Endlich im Januar 2014 - der neue Roman von Haruki Murakami. Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Der Countdown läuft...... und nach dem 10. Januar 2014 werden wir alle sehr viel mehr wissen. Wer ist Herr Tazaki? Warum wird er farblos genannt? Und welche Rolle spielt das Musikstück "Pilgerjahre" von Franz Liszt in dieser wieder so geheimnisvoll anmutenden Story.

Im Klappentext ist zu lesen, dass es ein großer Roman über Freundschaft und Liebe, Schmerz und Schuld ist. Als Tsukuru Tazaki das Mädchen Sara kennenlernt, das in einem Reisebüro arbeitet, öffnet er sich das erste Mal in seinem Leben. Tsukuru Tazaki - eigentlich ein Mann ohne Leidenschaft und ohne besondere Eigenschaften - muss tief in seine Vergangenheit zurückgehen. Er begibt sich auf die Suche nach einer seelischen Verletzung, deren Wunde nie verheilt ist. Wobei vier Farben eine entscheidende Rolle spielen. Schon während ich das schreibe, habe ich das Gefühl, den farblosen Tsukuru Tazaki zu kennen.


Für mich ist der 10. Januar ein magisches Datum und weitaus wichtiger als Weihnachten, Sylvester oder irgendwas. Es ist schön, dass der sehnsüchtig erwartete Roman zeitgleich zum 65. Geburtstag von Murakami am 12. Januar erscheint. So macht er den Lesern an seinem Geburtstag ein Geschenk. Gleichzeitig kann er davon ausgehen, dass Hunderte von Fans in diesen Tagen seinen Roman verschlingen werden - das sicher schönste Geschenk für einen Autor. Die meisten seiner Fans, die "Harukinisten" leben - klar - in Japan und gleich in der ersten Woche wurden dort eine Million Exemplare verkauft! Seine Leser sollen schon um Mitternacht Schlange gestanden haben (manche Buchläden in Tokio haben tatsächlich auch nachts noch geöffnet).

Zu meiner großen Freude erscheint das Buch wie gewohnt bei Dumont (allein das Cover ist ein Kunstwerk) und übersetzt hat es auch diesmal Ursula Gräfe, die deutsche Stimme von Haruki Murakami.




Freitag, 18. Oktober 2013

Alice Munro: Tricks. Acht Erzählungen. Aus dem Englischen von Heidi Zerning (Im Original "Runaway", erschienen 2004)

Alice Munro hat den Nobelpreis für Literatur gewonnen!!
Und heute, acht Tage und acht Erzählungen später, gehöre ich zu ihren Fans und weiß ganz sicher, dass dies nicht mein einziges Buch von ihr bleiben wird.
Schon jetzt freue ich mich auf ihren am 4. Dezember erscheinenden neuen Erzählband "Liebes Leben".

Doch erstmal "Tricks" - wo ich das große Glück hatte, mir noch am Tag der Verleihung eine der wunderschönen Ausgaben aus der Kleinen Reihe vom Fischer Verlag kaufen zu können. So konnte ich noch am selben Abend loslesen.

Vorfreude - wie Weihnachten!
Zuerst habe ich die Story "Tricks" gelesen, deren Titel auch das Buch trägt.
Statford - eine Kleinstadt in Kanada. Hierher fährt die 30-jährige Joanne einmal im Jahr, um sich ein Stück von Shakespeare anzuschauen. Und sie fährt ganz allein - für sie ein Hochgenuß. Nicht reden und keine Rücksicht nehmen müssen.
Diesmal jedoch gerät ihr routinierter Ausflug völlig aus dem Gleichgewicht. Erst verliert sie ihre Handtasche und dann lernt sie zufällig einen jungen Mann kennen, mit dem sie den weiteren Abend verbringen und der in ihr eine große Sehnsucht auslösen wird. Beide trennen sich mit dem Versprechen, sich im nächsten Jahr zur gleichen Zeit und am selben Ort wieder zutreffen. Sein Wunsch an sie ist, dass sie auch dasselbe Kleid tragen möge -

Alice Munro führt uns mit ihren melancholischen und sehr intensiv erzählten Geschichten in kleine Ortschaften Kanadas. In Landschaften, die geprägt sind von Ahornbäumen, fedrigen Zedern und Balsambäumen.
Viele ihrer Figuren sind Frauen, deren Erfahrungen mit Männern bestimmt sind von Demütigung und Enttäuschung. Angenehme Erfahrungen  finden oft nur in ihrer Phantasie statt. Nicht selten hoffen sie auf ein unverdientes Glück oder eine spontane Überraschung. Sie hoffen nie voller Sehnsucht und Intensität, sondern ganz im Stillen. Wider besseres Wissen und gegen jede Vernunft.
Sie alle werden einem so vertraut während des Lesens, dass man am Ende das Gefühl hat, Grace, Lauren, Joanne oder Tessa im wirklichen Leben begegnet zu sein. Sie werden zu guten Freundinnen.
So auch die einzelgängerische Juliet. Wir begegnen ihr  in insgesamt drei Stories, womit Alice Munro mich wirklich überraschte. Und überrascht hat mich als Leserin dicker Romane auch, dass es so beglückend und bereichernd sein kann, Erzählungen zu lesen.



Dienstag, 15. Oktober 2013

Haruki Murakami. Die unheimliche Bibliothek. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe



Jemandem zu beschreiben, der noch nie Murakami gelesen hat,
warum man jedes Wort dieses einzigartigen Autors in sich aufsaugen möchte,
ist wahrscheinlich kompliziert. Ich gehöre zu den Lesern, die nach gewisser Zeit ohne einen Roman oder eine Erzählung von ihm Entzugserscheinungen bekommen. Dagegen gibt es nur ein Mittel: Lesestoff. Ich gehe an mein Regal ....
Diesmal habe ich "Die unheimliche Bibliothek" gewählt, eine Erzählung aus dem Jahre 2005.

Erzählt wird die Geschichte eines Jungen, der zur Bibliothek läuft, um sich diverse Bücher über die Steuereintreibung im Osmanischen Reich auszuleihen. Ein grummeliger alter Mann gibt ihm zwar zwei zerlesene Exemplare, zwingt ihn aber gleichzeitig, ihm in ein labyrinthartiges Gewölbe unter der Bibliothek zu folgen. Nur hier dürfe er lesen. Ausleihen unmöglich -
"Mir wurde unbehaglich zumute. Um ehrlich zu sein, war ich keineswegs sonderlich erpicht, etwas über die Steuern im Osmanischen Reich zu erfahren. Doch hatte sich mir auf dem Heimweg von der Schule unvermittelt die Frage gestellt: Wie haben die eigentlich damals im Osmanischen Reich die Steuern eingetrieben? Und wenn ich etwas nicht wusste, ging ich immer sofort in die Stadtbücherei, um es herauszufinden. Schon von klein auf." (S. 10)
Im weiteren Verlauf dieser phantastisch anmutenden Story, steht überraschend der Schafsmann vor dem Jungen.
Und ich glaube, das ist genau der Moment, wo man als erfahrener Murakami-Leser im reinen Glück ist. Nur wer "Die wilde Schafsjagd" kennt, weiß wahrscheinlich um das Geheimnis des Schafsmannes - hier begegnet man ihm also wieder in seinem seltsam übergehängten Schafspelz mit den langen Ohren ...
Alles ist so vertraut und doch wieder ganz anders. Murakami eben. Dann taucht ein schönes stummes Mädchen auf. Doch existiert es wirklich? Ist sein Kuss auf die Wange des Jungen real oder geträumt?
Beide, der Schafsmann und das stumme Mädchen, warnen den Jungen vor einer großen Gefahr -


Viel zu schnell bewegt sich die Geschichte dann auf ihr Ende zu. Dank der beeindruckend schönen Illustrationen von Kat Menschick kann man aber beim Lesen inne halten und sich im Anblick der kleinen Kunstwerke verlieren. Und obwohl ich meine Bilder zu Geschichten lieber im Kopf entstehen lasse (Murakami ist ein virtuoser Zauberer ganzer Kopfwelten), genieße ich ihre Impressionen zu Murakamis Gedankenkosmos: schwarz glitzernde Diamanten, melancholisch, phantasievoll, mystisch..

Dienstag, 8. Oktober 2013

Ian McEwan. Honig. Aus dem Englischen von Werner Schmitz

Sommer 1972. Serena ist 21 Jahre alt und hat auf Wunsch ihrer Eltern nicht Englische Literatur sondern Mathematik studiert. Sie langweilt sich. Blickt sie jedoch zurück in diesen Sommer, so erscheint er ihr "als goldenes Zeitalter, als kostbares Idyll." Denn es ist die Zeit, bevor sie beim britischen Geheimdienst MI5 zu arbeiten beginnt. Die Zeit vor all den Lügen.
Es beginnt wenig aufregend. Morgens ist sie zunächst eine von Tausenden, die im Minirock und zusammengepfercht in der
U-Bahn ins Büro fährt, wo sie den ganzen Tag auf eine riesige Remington einhämmert. Von Zigarettenqualm umhüllt.....

Endlich ein Auftrag. Die Operation Honig wird ins Leben gerufen. Bedeutende Autoren sollen vom MI5 finanziert und so in ihrer Meinungsbildung unbewusst gelenkt werden. Russland macht es so mit seinen Kulturschaffenden, warum nicht auch Groß-Britannien. Der Kalte Krieg tobt an allen Fronten.
Serena ist blond, jung, äußerst attraktiv und eine leidenschaftliche Leserin. 3-4 Bücher liest sie pro Woche, meist modernes Zeug aus Trödelläden oder Buchantiquariaten. Nach gewohnter Art schlingt sie die Bücher gierig in sich hinein von Jane Austen bis William Golding.
Und weil sie schnell Männer kennen lernt und Affären gegenüber nicht abgeneigt ist, scheint sie genau richtig für die Aufgabe. Noch klingt alles irgendwie harmlos und banal. Auch die leidenschaftliche Liebesgeschichte, die sich nun zwischen ihr und dem jungen Dichter Tom entwickelt.
Doch eine Gewitterwolke braut sich über der ahnungslosen Serena zusammen.
Nie findet sie den richtigen Zeitpunkt, um ihrem Geliebten von ihrer Tätigkeit zu beichten. Aber wie könnte sie auch! Damit wäre die Liebe vorbei, ihre Tarnung aufgeflogen.
McEwan beschreibt diesen inneren Kampf Serenas großartig.
Ebenso das London der 70er Jahre.
Auffällige Männer mit Hut und Trenchcoat beschatten noch "unauffällig" in dunklen Hauseingängen ihre Opfer. Briefe und Akten können einfach zerrissen und damit für immer vernichtet werden. Vor einem gläsernen Zeitalter warnen lediglich Autoren, so wie George Orwell in seinem Roman "1984".
Überhaupt geht es viel um Literatur!
Ich glaube, kürzer gefasste Textstellen aus Toms literarischem Schaffen hätten der Story gut getan. Die Inhalte waren mir oft zu ausführlich und für den Roman insgesamt gar nicht notwendig.
(Ergänzung am 15.10.: vielleicht war es McEwan dennoch wichtig, sie in aller Ausführlichkeit mit in den Text einfließen zu lassen, denn wie er auf der Lesung im Berliner Ensemble am 14.10. erklärt hat, seien das frühe Texte von ihm selbst!!!)

Manchmal war mir der Blick, waren mir die Gedanken von Serena zu kühl, fast zu männlich (erst am Ende wird klar, warum das so ist).

Doch insgesamt gesehen, hat McEwan ein großartiges und bis zum letzten Satz absolut schlüssiges Szenario um Liebe, Intrigen und Verrat entwickelt.