Samstag, 31. August 2013

Moshin Hamid. So wirst du stinkreich im boomenden Asien. Aus dem Englischen von Eike Schönfeld

"Seien wir ehrlich, ein Selbsthilfebuch ist ein Widerspruch in sich, es sei denn, man schreibt selbst eines. Es ist doch so: Du liest ein Selbsthilfebuch, damit jemand, der nicht du ist, dir helfen kann, und dieser Jemand ist der Autor."
So beginnt ein Roman, der es in sich hat! Der keine Minute langweilt.
Temporeich, frech, verrückt. Auch brutal realistisch.
Die Du-Perspektive - unbekannter Autor spricht mit einem namenlosen Protagonisten - hält Moshin Hamid durch bis zum letzten Satz!
Im Verlauf der Story begegnet dem Jungen immer wieder ein sehr hübsches Mädchen, bleibt über Jahrzehnte das Objekt seiner Begierde. Sein Name: "das hübsche Mädchen" - egal, ob über die Jahre aus dem einfachen Mädchen ein berühmtes Model und aus diesem wiederum eine reiche Unternehmerin werden wird. Im boomenden Asien. Es könnte Pakistan sein. Denn hier ist Moshin Hamid geboren und aufgewachsen.
Hier lebt er nach Aufenthalten in New York und London heute wieder.

Der mit DU angesprochene Protagonist also hat das große Glück, vom Land und der totalen Armut weg in die Stadt geholt zu werden, dort zu studieren und sich selbständig zu machen. Mit großem Erfindungsreichtum und ein bißchen Glück gelingt sein Unternehmen vorerst und er wird reich -

Es ist wirklich unglaublich, wie Hamid es schafft, auf lediglich 220 Seiten eine ganze Welt, ein Jahrhundert des Werdens und Vergehens zu beschreiben. Mit knappen Worten beschreibt er nicht nur den Wahnsinn der Großstädte oder das absolut rückständige Leben auf den Dörfern Asiens, sondern erzählt eine einzigartige Liebesgeschichte. Vielleicht macht Geld allein eben doch nicht glücklich.
Und vielleicht hat der Autor des Selbsthilfebuches sich geirrt, als er in Kapitel eindeutig gewarnt hatte:
"Verlieb dich nicht....denn was das Reichwerden betrifft,
kann die Liebe ein Hemmnis sein."















Für alle Fans von Adiga "Der weisse Tiger"

Samstag, 24. August 2013

Leon de Winter. Ein gutes Herz. Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers

Theo van Gogh ist tot. Sein Mörder - der auch gern sterben wollte - nicht. Doch nachdem er van Gogh die Kehle durchtrennt hatte, wurde der marokkanische Islamist Mohammed Bouyeri von einem Schuß der Polizei getroffen und gefangen genommen. Seitdem sitzt er im Gefängnis.

Was dann passiert? Theo van Gogh landet im Himmel:
"All die stumpfsinnigen, schmalspurigen Märchen von der großen Abrechnung über das Leben, auf die man sich im Tod gefasst machen könnte, entsprachen der Wahrheit - das erfuhr Theo van Gogh am eigenen Leib (naja, LEIB hier nur im übertragenen Sinne)."
Im Himmel dann begegnet van Gogh dem schwarzen Franziskanerpriester Jimmy, der den Hirntod gestorben war. Noch vor seinem Tod wurde sein Herz gespendet.....
Weil ich an der Stelle einfach nicht zu viel verraten möchte, springe ich jetzt zu Leon de Winter, der auch eine wichtige Rolle in diesem total verrückten, elektrisierenden Roman spielt. Leon de Winter hat sich gerade von seiner Frau Jessica Durlacher getrennt und beginnt eine Affäre mit der attraktiven Sonja, die zwar noch um Jimmy trauert, durchaus aber offen für eine neue feste Beziehung ist. Ihr persönlicher Alptraum ist seit zehn Jahren Max Kohn, ihr Ex-Mann. Sie liebt ihn noch immer, doch genauso stark hasst sie ihn auch. Dafür gibt es mehrere Gründe, um nur ein paar zu nennen: er kokst, trinkt, lebt total gewissenlos und hat Frauen wie es ihm gefällt.
Aber....Max Kohn hat ein krankes Herz.
Sehr abgedreht, total crazy,ich verspreche es!! Denn gelenkt wird alles, was in dieser Story geschieht, aus dem Himmel: von Jimmy und van Gogh. Theo van Gogh nämlich bekommt die Chance, den glücklichsten Tag seines Lebens wieder und wieder zu erleben. Doch muss er dafür einen von drei Menschen auf der Erde beschützen. Und er entscheidet sich für Max Kohn.

Und das ist nur der Rahmen der Handlung, in deren Verlauf noch spektakuläre Ereignisse und unerwartete Zwischenfälle passieren. Und in der es so viel menschliche Wärme gibt.
Ach, man möchte niederknien vor diesem Geniestreich.
Leon de Winter hat mit "Ein gutes Herz" einen spannungsgeladenen, zeitaktuellen Roman geschrieben. Und wie ich finde, seinen besten. Die Darstellung gewalttätiger Tendenzen in unseren Großstädten in Konfrontation mit dem Wunsch der meisten Menschen nach einem normalen Alltag ist grandios. Die Konstruktion der Geschichte, der Zusammenhang zwischen den Figuren und Situationen gleicht einem riesigen Mosaik, das sich Stück für Stück zusammensetzt zu einem farbigen Ganzen.

Nach einem gewaltigen Showdown dann ein versöhnliches Ende und dennoch bleibt die Frage, ob wir nicht vielleicht doch auf einem gewaltigen Pulverfass sitzen -


Donnerstag, 22. August 2013

Stefanie de Velasco, tigermilch

Jameelah und Nini sind 14 Jahre alt und beste Freundinnen. Sie ziehen in diesem sehr heißen Berliner Sommer durch die Gegend, mal zur Kurfürsten, mal zum Nollendorfplatz. Beide glauben fest daran, dass nichts auf der Welt schief gehen kann, solange sie zusammen sind und nirgendwo allein hingehen.
Um sich anzuturnen, mischen die Mädchen Maracujasaft mit Mariacron und einem Schuss Milch. Sie nennen diesen exotischen Mix Tigermilch. Alles scheint unbeschwert. Doch ein Ereignis in diesen Ferien wird ihrer beider Leben für immer verändern.

Ihr vorerst wichtigstes Projekt jedoch ist die Entjungferung. Um das schnell durchziehen zu können, kaufen sie sich Ringelstrümpfe und stolzieren im kurzen Kleidchen auf der Kurfürsten.
Auch sehnen sich beide nach der großen Liebe, allerdings mit gleichaltrigen Jungs wie Nico, Amir oder Lucas aus ihrer Clique.

Dann geschieht eines Nachts ein Mord, bei welchem beide Mädchen ungewollt zu Zeuginnen werden.
Ihr Leben wird komplett aus der Bahn geworfen. Denn Täter und Opfer sind aus dem nahen Freundeskreis. Probleme wie Ehrenmord, Blutrache und Traumata aus dem Krieg in Serbien sind Dinge, die für Nini relativ neu sind. Jameelah ist da cooler, sie hat einfach schon viel mehr Tragisches erlebt. Mit ihrer Mutter Noura ist sie aus dem Irak gekommen und hofft auf deutsche Einbürgerung.

Starkes Debüt! Der Erzählton von Stefanie de Velasco ist frech, wütend, manchmal auch schockierend und gnadenlos realistisch.
Ninis schnodderige respektlose Art zu reden, erinnert manchmal an Christiane F. vom Bahnhof Zoo, manchmal an das Mädchen Sascha aus "Scherbenpark".
Eine Großstadtgeschichte, wie sie sich überall zutragen könnte.









Sonntag, 18. August 2013

Yoko Ogawa. Schwimmen mit Elefanten. Aus dem Japanischen von Sabine Mangold


Am Anfang des Romans hat er noch keinen Namen, er ist einfach nur "der Junge".
Schon in früher Kindheit entwickelt er eine Leidenschaft für Schach und beschließt mit elf Jahren, nicht mehr zu wachsen. Ausgelöst durch zwei Geschehnisse in seiner Kindheit, ist er besessen von der Tragödie um das Größerwerden. Allein der Gedanke daran, zieht ihn in einen Sumpf aus Angst.

Da ist Indira, das Elefantenmädchen. Einst als Baby und zu Zwecken der Attraktion auf das Dach eines Kaufhauses transportiert, sollte Indira irgendwann für immer in den Zoo. Mittlerweile war Indira aber zu groß für den Fahrstuhl und musste bis ans Ende ihrer Tage auf dem Dach des Kaufhauses leben. Vier Kuhlen im Betonboden und eine Fußfessel zeugen von ihrem tristen Leben.
Für den Jungen eine traumatische Kindheitserfahrung.
Und dann ist da noch der dicke Mann. Leidenschaftlicher Schachspieler, lebt in einem ausrangierten Bus. Von ihm lernt der Junge die Eleganz und Raffinesse des Schachs. Der dicke Mann lehrt ihn, dass es mehr darum geht, die Schönheit des Spiels zu genießen, als den König des Gegners in die Enge zu treiben. Zeit seines Lebens wird ihn der Spruch seines Meisters "Nicht so hastig, mein Junge" begleiten -
Doch sein Meister, der auch eine Leidenschaft für Süßes und Kuchen aller Art hat, wird dicker und dicker.
Kaum verlässt er noch seinen Bus, in welchem er mit seinem Kater Pawn lebt.
Interessant an dem Roman finde ich, dass ein zweites Tier auftaucht, welches einen Namen trägt. Der Meister und der Junge bleiben namenlos.
Passenderweise ist Pawn schwarz-weiß gefleckt wie der Tisch daneben mit den schwarz-weißen Quadraten. Beide bilden eine harmonische und untrennbare Einheit. Jahrelang verbindet die drei eine tiefe Freundschaft.
Ein tragisches Ereignis jedoch wird die Angst des Jungen, groß zu werden, verstärken. Ein Ereignis, an welches er sich sein ganzes Leben erinnern wird.

Er wird andere Orte erleben, an denen er aber eines immer und immer wieder tut: Schachspielen. Mittlerweile ist er berühmt als der kleine Aljechin (inspiriert von Alexander Aljechin, dem berühmten französisch-russischen Schachspieler) und tritt, versteckt in einem Schachautomaten, gegen die unterschiedlichsten Gegner an. Und dann ist da auch noch das Mädchen Miira....
Ein melancholisches, zartes Mädchen, das die Notationen zu jedem Spiel des kleinen Aljechin aufschreibt.
Der Junge ist ein stiller Liebender und so sind es oft nur ganz versteckte, aber umso tiefer berührende Momente, in denen seine tiefe Liebe zu Miira zum Ausdruck kommt. Etwa, wenn er sie unter vielen anderen weiß Gekleideten zu finden hofft und sie schließlich erkennt an dem unverwechselbaren Schatten ihrer traurig gesenkten Wimpern (S.196).

So ist "Schwimmen mit Elefanten" nicht nur Schach- sondern auch wunderschöner Liebesroman.
Wie in den Romanen von Haruki Murakami begegnen einem beim Lesen skurrile Charaktere in außergewöhnlichen Situationen. Traum und Realität vermischen sich leise und elegant miteinander.

Bin fasziniert, tief berührt und sehr begeistert.
Eine außergewöhnliche Geschichte über einen ganz besonderen Jungen.

Mittwoch, 14. August 2013

Uwe Timm. Vogelweide

Ich habe diesen Roman verschlungen.
Wort für Wort und Satz für Satz.
Schon, wenn man das Buch aufschlägt, ist man verloren in dieser wundervollen, klugen und gefühlvollen Sprache.
"Die Insel verlagert sich langsam nach Osten. Drei bis vier Meter im Jahr, je nach Stärke der Winterstürme und Sturmfluten. Hier, wo er jetzt stand, war vor vierzig Jahren Wasser nur und Watt."
Eschenwald hat alles verloren, die Computerfirma, die Freundin, die Geliebte und das wunderschöne Loft mit Blick auf den Berliner Zoo. In eine tiefe Stille hat er sich zurück gezogen, beobachtet auf einer einsamen Nordsee-Insel Vogelschwärme. Wattvögel, Austernfischer und den seltenen Steinwälzer.
Er liebt die Ruhe, die Einsamkeit. Wie ein Eremit gibt er sich seinen täglichen Ritualen hin. Kaffee, Frühstück, Strandgut sammeln, Vögel beobachten.

Ein Anruf von Anna verändert diese meditative Stille und er beginnt, sich zu erinnern.
Wie er Anna und ihren Ehemann Ewald kennen lernte. Wie das Begehren begann, wie es immer stärker wurde. Und wie Anna seine Geliebte wurde. Und wie er, der doch mit seiner Freundin Selma glücklich war, Vorsätze aufgab. Wie er sich gemeinsam mit Anna befreit und haltlos gefühlt hatte. Ohne Takt und Moral. Ohne Rücksicht und Anstand. Ganz von Sinnen -

Immer wieder während des Erinnerns aber ist Eschenwald im Hier und Jetzt seines Inseldaseins. Beobachtet die Wellen, den Himmel, führt Gespräche mit Einheimischen. Man hat das Gefühl, dass es ihm in dieser tiefen Einsamkeit besser geht, fast beneidet man ihn um dieses Leben.
In den diversen Rückschauen erfahren wir auch, wie turbulent es einmal war. War es deshalb besser? Die Frage stellt sich gar nicht. Irgendwie hat jeder seinen neuen Platz gefunden. Egal, ob Selma, Ewald oder Anna. Und aus alter Wut und Trauer kann wieder etwas Neues entstehen.
Für mich der beste deutschsprachige Roman in diesem Sommer.







Mittwoch, 7. August 2013

Anna Stothard. Die Kunst, Schluss zu machen. Aus dem Englischen von Hans M. Herzog

Eva Elliot lebt und arbeitet in London als Lektorin in einem Erotik-Verlag. Täglich liest sie Manuskripte meist sehr trivialer Art und mit kitschigem Ende. Trotzdem liebt sie ihren Job, denn schon als kleines Mädchen hat sie Romane wie "Lolita", "Vom Winde verweht" oder "Jahrmarkt der Eitelkeiten" verschlungen.
In beiläufigem Plauderton spricht sie über große Autoren wie Truman Capote, Henry James oder Nabokov. Besonders beschäftigen sie immer wieder leidenschaftliche Abschiedsszenen - egal, ob in Filmen oder in Büchern.

Und auch im wirklichen Leben liebt Eva TRENNUNGEN!
Mit größter Präzision und eifriger Freude bereitet sie sich in jeder Beziehung auf deren schnelle Beendigung vor. Nach einer Trennung, sagt Eva, fühle sie sich immer sehr "aufgekratzt und vergnügt, als könne sie fliegen. Je fester der Griff, desto größer war vielleicht die Erleichterung beim Loslassen." (S. 127)
Doch mit ihrem derzeitigen Freund Luke ist alles anders.
Mehrmals hat sie bereits versucht, sich von ihm zu trennen, doch versöhnen sich beide immer wieder. Meist geschieht dies bei einer Runde Scrabble (eine weitere von Evas Leidenschaften).
Bis eines Tages auf einer Party die exzentrische hübsche Grace auftaucht und alles durcheinander wirbelt.

Den Roman zu lesen macht einfach wahnsinnig Spaß. Eva ist klug und witzig. Man wäre gern ihre Freundin, würde an ihrer Seite durch die Charing Cross Road oder den Regent's Park schlendern und dabei über neueste Trends in Mode, Literatur und Film plaudern. Später mit ihr noch auf einen Cocktail in eine Bar oder einen Snack in einem der vielen "Pret a manger"-Shops gehen.

Ein sehr poetisches Bild begleitet die gesamte Story. Es ist Regina - ein aus dem Zoo entflohenes Steinadlerweibchen. Ihre Freiheit genießend, fliegt Regina über London und hält die Stadt in Atem.
Regina liebt das Fleisch junger Pudel!!
Erhaben sitzt sie auf der Bronzeskulptur in der Mitte des Trafalgar Square oder jagt Enten und Kaninchen im Regent's Park, bis sie eines Tages eingefangen und in den Käfig zu ihrem Partner Goldie zurück gebracht wird. Dort wetzen beide wieder simultan ihre Schnäbel an einem Ast -

Tolle Story, verrückt und erfrischend!

Sonntag, 4. August 2013

Hans Pleschinski. Königsallee - Mit Thomas Mann und Klaus Heuser in Düsseldorf


Wieder sind es die ersten Sätze, die einen bannen:


Der Aufruhr im "Breidenbacher Hof" war groß.
Das Grand Hotel befand sich im Ausnahmezustand.
Krude Zeiten.
Da mußte man durch.
Knappe Sprache, lakonische Formulierungen.
Doch, leider - so bleibt es nicht.
Der Stoff verdichtet sich.
Oftmals wünscht man sich beim Lesen der insgesamt 388 Seiten eine Raffung, mehr Tempo.
Eindrucksvolle Szenen und die Neugier, ob Thomas Mann und Klaus Heuser sich nun wiederbegegnen werden, treiben einen trotzdem weiter.
Denn die Story ist insgesamt atmosphärisch dicht und faktenreich erzählt.

Sommer 1954 in Düsseldorf:
Klaus Heuser, der schöne junge Mann, in den Thomas Mann sich 1927 verliebt hatte und der ihm Inspiration war für die Romanfigur des Joseph, gastiert im Düsseldorfer Hotel. Er ist nicht allein. An seiner Seite der exotisch wirkende asiatische Geliebte Anwar.
Auch Thomas Mann mit Frau Katia und Tochter Erika ist zu Gast in jenem Hotel.
Er wird aus dem "Felix Krull" lesen. Die Lesung ist komplett ausverkauft. Der Magier, der Zauberer, der Nobelpreisträger - Thomas Mann ist berühmt und beliebt.
Desweiteren tauchen in der Story Golo Mann und der Dichter Ernst Bertram auf. Erika Mann gerät in Disput mit ihrem Bruder und auch mit Klaus Heuser.
Lange Reden und Monologe zeigen die Zweifel und Hoffnungen der 50er Jahre. Man erfährt so viel. Zu viel.
Glücklich war ich beim Lesen immer dann, wenn es so ganz persönliche Szenen gab.
Zwischen Klaus und Anwar. Oder zwischen dem Ehepaar Mann.
Und grandios dargestellt ist auch der Abend der Lesung mit anschließendem Sektempfang. Dafür hat sich der Roman dann eben doch gelohnt.